Kaum jemanden hat es in der Corona-Wirtschaftskrise schlimmer erwischt als sie: die Neugründer von Gastronomiebetrieben. Ein Unternehmertum im Ausnahmezustand.
Manchmal kommt es vor, dass Denisa und Niklas Friedl beim gemeinsamen Familienfrühstück nicht mehr Deutsch, sondern Englisch miteinander reden. Dann nämlich, wenn es ums Geschäft geht: um das im Frühjahr 2020 eröffnete schicke Bistro des Ehepaars auf der Wiener Gumpendorfer Straße und um die finanzielle Situation nach zwei Jahren Corona-Krise. Warum sie bei diesem Thema die Sprache wechseln? Weil ihr fünfjähriger Sohn nicht merken soll, dass sie sich Sorgen machen.
Denisa und Niklas Friedl wollten sich vor zwei Jahren den lang gehegten Traum vom eigenen Lokal erfüllen. 50 Sitzplätze, schmuck designte Einrichtung, französische Küche, einladender Barbereich: Das Unternehmerpaar hatte jede Menge Ideen, Herzblut und Geld in Vorarbeiten für das „Ma belle“ gesteckt. Noch vor der Eröffnung kam Corona, angesichts hoher Anlaufkosten zogen sie ihr Vorhaben dennoch durch. Nun gehören die beiden Restaurantbetreiber zum Kreis jener, die es wirtschaftlich in der Covid-Krise mit am schlimmsten erwischt hat: Neu-Gründer in der Gastronomie – einer Branche, die wie kaum eine zweite von der Pandemie gezeichnet ist.
Lange Lockdowns, Zutrittsbeschränkungen und Öffnungszeitverkürzungen haben gerade im Gastrobereich tiefe Spuren hinterlassen. Zwar griff der Staat auch hier Unternehmern mit umfangreichen Hilfsleistungen unter die Arme. Eine Besonderheit führte allerdings dazu, dass neue Betriebe bei einer wichtigen Unterstützungsleistung – dem Umsatzersatz – weitgehend durch die Finger schauten. Dies ausgerechnet in der besonders heiklen Zeit des zweiten Lockdowns Ende 2020. Die Auszahlungen orientierten sich nämlich grundsätzlich an den Einnahmen im Jahr zuvor – also vor Corona. Wer da noch gar nicht in Betrieb gewesen war? Pech gehabt: In solchen Fällen wurden die Umsatzsteuervoranmeldungen des mageren Lockdown-Jahres 2020 herangezogen. Gerade in der Gastronomie und vor allem der Nachtgastronomie ein Riesenunterschied.
Denisa und Niklas Friedl hatten das „Ma belle“ umfangreich umgebaut, ehe sie es im Juli 2020 – somit nach dem ersten Lockdown – eröffneten. Bis Oktober 2020 sei das Geschäft sehr gut gelaufen, erzählt das Unternehmerpaar im Gespräch mit profil. Doch dann kam schon der nächste Lockdown. Nun hätte man auf Umsatzersatz gehofft. Doch für November und Dezember 2020 habe es gerade einmal den Mindestbetrag von jeweils 2300 Euro gegeben. Der Grund: Das Lokal hatte im Bemessungszeitraum ein Jahr zuvor noch nicht existiert.
„Wir haben sieben Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt, allerdings ohne zu wissen, dass wir die Kurzarbeit vorfinanzieren müssen“, erzählt Denisa Friedl. Mit 2300 Euro pro Monat geht sich das nicht aus. Sie hätten deshalb aus den eigenen Ersparnissen rund 20.000 Euro pro Monat vorfinanziert, berichten die Unternehmer. Im Februar und Mai 2021 habe man dann abermals nur rund 6000 Euro an Umsatzersatz erhalten und im August 2021 insgesamt knapp 25.000 Euro. Wie das berechnet wurde, ist den beiden Gastronomen schleierhaft. Sie beklagen Intransparenz bei den Hilfen. Fest steht für sie jedenfalls: „Wir haben viel zu wenig bekommen – geschätzt um 30.000 bis 40.000 Euro.“ Durch die Lockdowns hätten sie von 18 Monaten zehn Monate schließen müssen. Man wolle nicht von der Krise profitieren, aber die – unverschuldeten – Ausfälle ausgeglichen haben. Ins „Ma belle“ steckten die beiden Betreiber nach eigener Aussage bis zu 350.000 Euro. Ein ordentlicher Betrag, der mit einem entsprechenden wirtschaftlichen Risiko verbunden ist.
In einer noch deutlich höheren finanziellen Liga spielt jedoch die Bar „Kleinod Prunkstück“ in der Bäckerstraße in der Wiener Innenstadt (altgediente Nachtschwärmer kennen die Location möglicherweise noch als „Kix Bar“). Unter neuer Eigentümerschaft wurde das Lokal von Grund auf umgebaut. David Schober und Oliver Horvath haben – mit zwei weiteren Investoren im Hintergrund – eine Nobel-Bar mit rund 100 Sitzplätzen und 70 Stehplätzen auf zwei Ebenen geschaffen. Nach 25 Monaten Projektphase und rund zwei Millionen Euro an Investments eröffneten die erfahrenen Unternehmer das „Kleinod Prunkstück“ am 29. Jänner 2020 – nur um es wenige Wochen später im ersten Corona-Lockdown wieder schließen zu müssen.
„Unser Geschäft lag im Februar 2020 um 20 Prozent über der Best-Case-Berechnung aus dem Businessplan“, schildert Schober im profil-Gespräch. Dennoch habe man nach dem Umbau und nur fünf Wochen Betrieb naturgemäß noch keine Rücklagen gehabt. „Es ging nur noch nach dem Motto Augen zu und durch“, beschreibt Horvath die angespannte Situation. Noch schwieriger wurde es im zweiten Lockdown. Kurz keimte zwar Hoffnung auf, als der staatliche Umsatzersatz eingeführt wurde – doch bald mussten die Bar-Betreiber feststellten, dass ihnen die relevanten Vergleichsumsätze fehlten.
Ihre Firma wurde zwar schon im Jahr 2018 gegründet, machte aber klarerweise bis zur Bar-Eröffnung 2020 kein Geschäft. „In der Hochsaison würden wir 200.000 bis 250.000 Euro netto pro Monat einnehmen“, rechnet Schober vor. Für Dezember 2020 hätten sie jedoch nur 2300 Euro Mindest-Umsatzersatz erhalten. „Damit können wir noch nicht einmal die Hälfte der Stromkosten des geschlossenen Lokals bezahlen“, meint Horvath. Letztlich seien 2021 dann in Summe gerade einmal rund 50.000 Euro aus dem Titel Umsatzersatz eingegangen. Allein für November und Dezember 2020 hätten es jedoch mehr als 300.000 Euro sein müssen, sagt Schober. Gerade noch über Wasser gehalten habe sie – neben Eigeninitiativen wie ein durchaus populärer Gassen-Punschverkauf – nur der sogenannte Fixkostenzuschuss (ebenfalls eine Corona-Hilfsmaßnahme).
Wurden Neugründer in der Gastronomie – aber auch in anderen Branchen – bei den Corona-Hilfsmaßnahmen strukturell benachteiligt? Einige Unternehmer überlegen, den Staat im Wege der Amtshaftung in die Pflicht zu nehmen – darunter auch die Betreiber des „Kleinod Prunkstück“.
profil hat im Finanzministerium nachgefragt. Dort erklärt man, die Regierung habe „seit Anfang der Krise einen breiten Maßnahmenmix an Unterstützungen für die Unternehmerlandschaft Österreichs“ aufgesetzt: „Dabei wurde natürlich auf die Neugründer geachtet, welche wichtig für den Standort und die Wettbewerbsfähigkeit sind.“ Im Verlauf der Pandemie sei das Beantragungsdatum für neu gegründete Unternehmen immer mitverschoben worden, damit „die Gründerkultur“ erhalten bleibe.
Kritisch sieht hingegen Gerald Zmuegg vom Beratungsunternehmen „Finanzombudsmann“ das Vorgehen der Politik: „Für Unternehmen, die vor oder seit Beginn der Covid-Krise in der Gastronomie ihre Geschäftstätigkeit aufgenommen haben, waren die Cofag-Hilfsgelder (Anm.: Die Cofag ist die Abwicklungsfirma für die staatlichen Hilfsmaßnahmen.) die wichtigste Einkunftsquelle. Im Gegensatz zu bereits etablierten Betrieben konnten Neugründungen keine Liquiditätspolster aufbauen. Die Förderrichtlinien nehmen darauf keine Rücksicht.“ Während der staatlich verordneten Schließungen sei es „regelmäßig zu Unterförderungen und Verzögerungen“ gekommen, weil die Unternehmen keine Vergleichswerte aus den Vorjahren aufweisen konnten. Laut Zmuegg begleiten seine Experten derzeit rund 150 Fälle, die „aufgrund der Auslegung dieser Richtlinien durch die Cofag zum überwiegenden Teil um ihr Überleben kämpfen“.
Die von Zmuegg geschilderte Problematik deckt sich mit den Erfahrungen von Heinz Kaiser – seit 2019 stolzer Betreiber der „Dino’s Apothecary Bar“. Das Lokal heißt so, weil sich Kaiser zeit seines Lebens nie ganz zwischen seinem Beruf als Pharmazeut und seiner Berufung als preisgekrönter Cocktail-Barkeeper entscheiden konnte. Seit Jahrzehnten macht er beides – Cocktails mixt und verkauft er nun allerdings erstmals in einem Lokal, das ihm selbst gehört. Dieses findet man am Salzgries in der Nähe des Wiener Schwedenplatzes. Kaiser hat sich damit einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Ein paar Wochen nach der Eröffnung im Dezember 2019 schlug jedoch die Pandemie zu. „Ich habe mir nicht gedacht, dass das so lange dauert“, sagt Kaiser.
Bei den Staatshilfen habe auch er das Problem gehabt, dass es keine Vergleichszahlen zum dritten Quartal 2019 gab. „Für November 2020 hätte ich eigentlich mehr als 30.000 Euro kriegen müssen“, meint der Bar-Besitzer. Zunächst habe er 2500 Euro erhalten, dann 17.000 Euro. Für die Vorfinanzierung der Kurzarbeit und sonstige finanzielle Notwendigkeiten habe er privat nochmals 100.000 Euro in die Hand genommen. Aufgeben kommt für Kaiser nicht infrage. Als fair empfindet auch er die Situation aber nicht.
Quelle: Profil.at